
Die Renaissance des geschriebenen Wortes
In den letzten Dekaden dominierte in der Werbung das Narrativ, wonach ein Bild mehr als tausend Worte sage. Das war immer schon seltsam, oder können Sie Bilder sprechen hören? (Sollten Sie diese Frage mit “Ja” beantworten, würde ich das von einem Arzt genauer anschauen lassen). Doch was sich in Köpfen etabliert, werden selbige nur schwer wieder los. Und so beglückte uns die Werbewirtschaft in einem inflationären Ausmaß mit Bildern, als gäbe es kein morgen mehr. Werbetexte und Texte allgemein dienten maximal als Platzhalter. Oder als störende Elemente ist schön designten Werbesujets. Natürlich, Bildsprache ist in der Werbung heute noch immer von immenser Bedeutung. Mittlerweile setzt aber ein Umdenken ein, und das hat einen simplen Grund. Aufgrund der massiven „Überbilderung“ unterliegt praktisch jedes Motiv der Beliebigkeit. Die glückliche Familie unterm Weihnachtsbaum, wo der Golden Redriver natürlich nicht fehlen darf, das Spiegeln der Morgensonne am flachen Seewasser. Es gibt so gut wie keine bildliche Information mehr, mit der uns die Werbewirtschaft nicht schon tausende Male konfrontiert hat. Unsere Gehirne – genau genommen: unsere Hinterhautlappen – schalten mittlerweile auf Durchzug, weil sie von den vielen Bildern keine relevanten Informationen mehr erwarten. Reizüberflutung führt zwangsweise zur Reizannahmeverweigerung.
Für Bildfetischisten in der Werbebranche kam kurz Hoffnung auf, als Mitte der Nullerjahre Bewegtbilder das Internet eroberten. Endlich lernten Bilder wahrhaft sprechen, und alles schien gut zu werden. Doch das führte zu einer weiteren Beschleunigung, die durch die Reduzierung auf bloße Bildsprache ihren Anfang nahm. Und irgendwann haben Werbekonsumierende dann auch einmal die Schnauze voll. Mündige Menschen lassen sich nicht mehr alles – im wahrsten Sinne des Wortes – aufs Aug’ drücken. Und so entsteht aktuell eine Gegenbewegung, die Werbetexter gut zupass kommt. Denn die Menschen lechzen nach Tiefe. Um in diese Tiefe vorzudringen, braucht es Zeit. Und nichts entschleunigt in der Kommunikation so sehr, wie das Lesen.
Ob deswegen für Werbetexter jetzt goldene Zeiten anbrechen, bleibt abzuwarten. In jedem Fall ist es ein großes Vergnügen, Gedanken mit geschriebenen Worten zu leiten, um Emotionen zu wecken. Hoffentlich auch Ihre.